Rhein-Neckar-Zeitung, 26. 6. 2005

Biomasse liefert Strom für 800 Haushalte

Die ersten beiden Biogas-Anlagen im Kreis arbeiten seit einem halben Jahr

Von Peter Lahr

 

Neckar-Odenwald-Kreis. Den in politischen Diskussionen häufig zu hörenden Slogan "Vom Landwirt zum Energiewirt" setzten im Neckar-Odenwald-Kreis bislang zwei Höfe in die Realität um, indem sie eine Biogas-Anlage errichteten. Seit einem halben Jahr betreiben Martin Stolz (Walldürn) sowie Erwin und Andreas Schlegel (Hardheim-Vollmersdorf) ihre Biogasanlagen. Im Gespräch mit der Rhein-Neckar-Zeitung berichten sie über ihre Motive und die ersten Erfahrungen.

Einig sind sich die Landwirte bei ihren Gründen: "In der Landwirtschaft wird es immer schlechter", erklärt Martin Stolz. Da musste sich der technikbegeisterte Landwirtschaftsmeister, der seit 1998 bereits einen Melkroboter im Stall-Einsatz hat, nach einem zweiten Standbein umsehen. Auch der frischgebackene Agraringenieur Andreas Schlegel stand vor einer schwerwiegenden Entscheidung: Sollte er auf dem väterlichen Hof einsteigen, oder lieber auswärts eine Arbeit suchen? So entschieden sich die Landwirte letztes Jahr für Biogas.

Dank der Planungssicherheit, die die Änderung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes (EEG) vergangenen Sommer mit ihrer Einspeisevergütung von 17,5 Cent pro Kilowattstunde (kWh) liefert, ergänzt Andreas Sigmund vom Bauernverband des Neckar-Odenwald-Kreises, sei zwischenzeitlich bundesweit ein wahrer Boom bei Biogasanlagen ausgebrochen, der zu steigenden Anlage-Preisen führe.

Zuvor hatte Martin Stolz vor Ort ausgiebig verschiedene Biogas-Anlagen ihm bekannter Landwirte in Norddeutschland in Augenschein genommen. Den Mittelpunkt jeder Anlage bildet ein großer Gärbehälter, "Fermenter" genannt. 15000 Kubikmeter groß und aus Edelstahl gefertigt, misst der von Martin Stolz 18 Meter im Durchmesser.

Befüllt wird dieser Behälter kontinuierlich mit einer Mischung aus nachwachsender pflanzlicher Biomasse - wie Silomais, Gras oder Sudangras - und flüssiger Gülle (eine Mischung von Kot, Harn und Wasser), die bei Martin Stolz 70 Kühe liefern. Heizspiralen erwärmen die Flüssigkeit im Gärbehälter auf 42 bis 45 Grad, die ideale Temperatur für Milliarden von Bakterien, die die Biomasse zersetzen.

Dabei entsteht unter Sauerstoffabschluss vor allem das Gas Methan, welches über ein Doppelmembran-Dach zurückgehalten und in einem Motor verbrannt wird. Wie bei einem Kraftwerk hängt dahinter ein Generator, der den Strom erzeugt, der dann ins Netz eingespeist wird.

Eine besonders hohe Energieeffizienz erreicht Martin Stolz, indem er auch die als "Nebenprodukt" entstehende Wärme nutzt: einen Teil als Prozessenergie für die Heizspiralen, den Großteil jedoch, um sein Wohnhaus zu heizen und das Wasser im Stall zu erwärmen. Doch damit nicht genug: Über eine Fernwärmeleitung soll künftig noch das Gebäude eines in der Nähe befindlichen Lohnunternehmens mitversorgt werden.

Die Anlage läuft rund um die Uhr, pro Tag gut 22 Stunden. Unterschiedlich hoch ist die Energieausbeute der verschiedenen Rohstoffe der im Schnitt 50 Tage im Gärbehälter verbleibenden Stoffe. Die "ideale Mischung" herauszufinden, ist deshalb eine Kunst für sich.

Als "Restprodukt" entsteht ein "flüssiges, sprich pumpfähiges Substrat", welches durch einen Überlauf in einen zweiten Behälter abfließt und wie bisher auf dem Acker ausgebracht wird. Einen Vorteil gegenüber der Rohgülle nennt Andreas Sigmund: "Der Güllegeruch ist nach einer halben Stunde weg." Zudem soll die Biogas-Gülle Jungpflanzen gegenüber verträglicher sein.

Der Motor mit einer Leistung von 200 kWh liefert pro Tag 5000 kWh Strom. Das entspricht dem Jahresverbrauch eines durchschnittlichen Haushaltes. Oder, rechnet Sigmund um: "Die Anlage versorgt kontinuierlich etwa 400 Haushalte mit Strom." Dafür arbeitet Martin Stolz seit dem Anlagenbau im November jeden Tag 16 Stunden.

Zweites Standbein für Landwirte

"Ich kenn mich mittlerweile mit Biogas aus", meint er. Dass er über drei Computer mithilfe selbst entwickelter Programme jederzeit Zugriff auf die aktuellen Prozesse im Fermenter hat, ist für ihn kein Luxus, sondern dient schlicht der Zeitersparnis.

Ein vergleichbares Volumen hat mit 180 kWh Leistung die Biogas-Anlage von Andreas und Erwin Schlegel in Vollmersdorf, die am 23. Dezember 2004 als erste im Kreis ans Netz ging. Der "Kombi-Fermenter" ist jedoch vier Meter in die Erde eingetieft. Optisch sei dies schöner, befindet Erwin Schlegel, zudem könne so der Feststoff leichter eingetragen werden. Der Materialmix aus Edelstahl und Beton bringe auch noch finanzielle Vorteile mit sich.

50 Milchkühe und 60 Hektar Anbaufläche, vor allem Mais und Grünroggen, liefern die nötigen Rohstoffe für die Biogas-Anlage. Neu errichtet werden musste auch eine 3000 Kubikmeter große Lagerfläche für die Silage. Doch der tägliche Arbeitsaufwand sei "kein Hexenwerk" befindet Erwin Schlegel, der sich auf die automatische Motorsteuerung verlässt.

Zweimal täglich muss er den Fermentbeschicker namens "Vielfraß" beschicken. Hinzu kommen Kontrollen und Wartung der Maschinen. Der Motor verlangt alle 1000 Stunden nach einer Ölanalyse, alle 3000 Stunden nach einem Ölwechsel. Extra installieren mussten Schlegels auch noch eine unterirdische, und somit frostsichere Gülleleitung vom nahen Stall, inklusive Güllepumpe, sowie eine 700 Meter lange Leitung zum nächsten Einspeisungspunkt.

Großes Interesse an Biogas haben in den vergangenen Wochen bereits weitere Landwirte des Kreises gezeigt, so dass auch hier künftig mit einer weiteren Zunahme zu rechnen ist.

 

Home

Impressum