|
„Sackgasse Wachstum“ – Alternativen für unsere Gesellschaft!
|
|
Was brauchen wir wirklich?
|
|
Interview mit Angelika Zahrnt, Autorin des Buches „Die Postwachstumsgesellschaft – neue Konzepte für die Zukunft”
|
|
Zum 4. Mal startet am kommenden Dienstag die SUN-Klimaschutzreihe.
|
Veranstalter sind der Verein S.U.N., der NABU Mosbach, die Kreisgruppe Neckar-Odenwald des BUND und die EAN Energieagentur. Für die Auftaktveranstaltung am 27. September um 19.30 in der Alten Mälzerei konnte die Volkswirtschaftlerin und Mitglied im Rat für nachhaltige Entwicklung Prof. Dr. Angelika Zahrnt gewonnen werden. Die Rhein-Neckar-Zeitung hat sie zum Vortragsthema „Sackgasse Wachstum“ befragt.
|
|
Die Veranstalter der 4. Klimaschutzreihe im NOK wollen „blau machen“ und haben Sie eingeladen, darüber zu sprechen, wie es sich einer Gesellschaft gut leben ließe, die ohne klassisches Wachstum auskommt. Was haben Sie gegen wirtschaftliches Wachstum? Warum soll das eine Sackgasse sein?
|
Für mich ist das Hauptproblem am Wirtschaftswachstum, dass mit der Menge der produzierten Güter und Dienstleistungen auch die Menge an Rohstoffen, an Energie, an Abfall, an Emissionen wächst – und Natur und biologische Vielfalt abnehmen. Wenn wir in den Industrieländern so weiter wirtschaften wie bisher, reichen einfach die Vorräte für künftige Generationen nicht. Und wenn Entwicklungsländer und Schwellenländer wirtschaftlich wachsen, um Armut zu überwinden, dann verschärft sich die Situation. Die bisherigen Hoffnungen, dass wir durch technischen Fortschritt weiter wachsen und trotzdem weniger verbrauchen können, haben sich nicht als realistisch erwiesen.
|
|
In der Süddeutschen Zeitung stand kürzlich zu lesen: „Wider den Hurrapatriotismus der Wachstumsfetischisten“. Das Bruttoinlandsprodukt als ohnehin falsch verstandenes Wohlstandsmaß habe ausgedient. Lässt sich überhaupt bemessen, wie gut es uns geht?
|
Dafür, wie es uns als Gesellschaft geht, gibt es Messgrößen, z.B. in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie. Denn ob es einer Gesellschaft gut geht, hängt eben nicht nur vom Zuwachs am materiellen Reichtum ab, sondern auch davon, wie dieser Reichtum verteilt ist, ob es Kinderarmut oder Altersarmut gibt, wie es mit der Chancengleichheit in der Bildung steht, wie es mit den Lohnunterschieden zwischen Männern und Frauen aussieht oder auch wie sauber die Flüsse und die Luft sind, wie viel Naturvielfalt wir haben. Wie gut es uns individuell geht und ob man einen Glücksindex für die Gesellschaft entwickeln kann, wird zurzeit heftig diskutiert. Alle Befragungen zeigen aber, dass für den Einzelnen vor allem Gesundheit, soziale Beziehungen, materielle Sicherheit, intakte Natur wichtig sind.
|
|
Sie haben eine Vision…
|
Ja, meine Vision ist, dass wir in den Industrieländern eine Art und Weise zu wirtschaften und zu leben entwickeln, die mit so wenig Ressourcen auskommt und so wenig Schäden verursacht, dass auch die Menschen in den Schwellenländern und Entwicklungsländern ohne Armut und gesund und ähnlich gut wie wir leben können. Und dass unsere Kinder und Enkel ein gutes Leben haben.
|
|
Die Basis Ihrer Vision ist die zweite Studie „Zukunftsfähiges Deutschland“, 2008 veröffentlicht. Hat sich seit der ersten Studie (1996) genug getan bei uns? Weltweit?
|
Es ist nicht genug, auch wenn es in Deutschland positive Entwicklungen gibt wie den Ausbau der erneuerbaren Energien. Aber es muss sich noch sehr viel mehr tun, z.B. im Bereich der Energieeffizienz, bei der Mobilität. Und es reicht eben nicht, wenn einzelne Produkte effizienter werden, wir uns aber immer mehr Produkte anschaffen. Weltweit sieht die Bilanz düster aus, der Klimawandel beschleunigt sich, die Wälder werden weniger – auch weil wir sie für Biosprit und Futtermittel abholzen.
|
Persönlicher Konsum ist eine Sache, die Sie umkrempeln wollen. Die Einstellung zur Erwerbsarbeit eine weitere. Motto: Gut leben statt viel arbeiten. Meinen Sie, dass ein Mensch, der Arbeit sucht, damit was anfangen kann?
|
Für jemanden, der arbeitslos ist, mag das zynisch klingen. Gemeint ist aber, dass wir durch eine Umorientierung nach diesem Motto als Gesellschaft und Einzelne etwas gewinnen können. Wenn wir nicht den Ehrgeiz haben, einen möglichst vollen Terminkalender zu haben und möglichst viel Geld zu verdienen, sondern Familie und Freunden, Engagement in Nachbarschaft und Vereinen, der Freude am Gärtnern und Kultur mehr Raum geben. Wenn wir individuell unsere Arbeitszeit verringern und Gewerkschaften eine Politik der Arbeitszeitverkürzung anstreben, dann gibt es auch mehr Arbeitsplätze – auch für diejenigen, die jetzt keinen haben.
|
|
Wenn Wirtschaftswachstum in die Sackgasse führt, wo soll’s denn dann lang gehen?
|
Das ist das große Fragezeichen, weil wir alle – als Konsumenten, Unternehmen, Politiker – seit 60 Jahren auf Wachstum gepolt sind. Jetzt müssen wir überlegen und umgestalten, so dass wir ohne wirtschaftliches Wachstum gut auskommen, individuell und als Gesellschaft.
|
|
Ich als Mosbacherin möchte zwei Handlungsanweisungen mitnehmen, wie ich gut leben kann, nicht auf Kosten anderer und unserer Umwelt. Was raten Sie mir?
|
Biologische, regionale und fair gehandelte Produkte einkaufen, weniger Fleisch essen und beim Einkaufen zunächst überlegen: Brauche ich das wirklich? Bevor ich den Autoschlüssel nehme, überlegen: Geht es nicht auch zu Fuß, mit dem Rad, Bus oder Bahn – auch wenn es länger dauert.
|
|
„Wir machen blau“ steht auf dem Plakat, Frau Denz, das für die vierte Klimaschutz-Vortragsreihe von S.U.N. e.V. wirbt. Ein heiterer Titel für ein ernstes Problem?
|
Wir möchten mit dem vermeintlichen Widerspruch neugierig machen. “Blau MACHEN” kann man von der Stadt Tübingen und aus deren gleichnamiger Kampagne lernen. Wir fragen uns: Was können wir direkt vor Ort und regional tun?
|
|
|
|
|
Rhein-Neckar-Zeitung, 29. 9. 2011
|
Weit mehr als ein Spiel: Mensch ändere Dich
|
Das Maß der Dinge kann Wachstum nicht länger sein – Auftaktveranstaltung zur 4. Klimaschutzreihe mit Prof. Dr. Angelika Zahrnt
|
|

|
Wachstumsskeptisch, aber zuversichtlich: Angelika Zahrnt und Christine Denz (r.) eröffneten die vierte S.U.N.-Klimaschutzreihe mit dem Thema „Sackgasse Wachstum“.
|
|
Foto und Bericht von Ursula Brinkmann
|
Ausgerechnet am 27. September 2011 kam Prof. Dr. Angelika Zahrnt nach Mosbach, um über die „Postwachstumsgesellschaft“ zu sprechen: „Heute ist World Over Shoot Day; ab heute leben wir auf Pump.“ An diesem Tag ist rechnerisch alles verbraucht, was eine sich selbst erhaltende Natur binnen zwölf Monaten liefern kann: Wasser, Brennmaterial, Bauholz, Getreide, Fische und Platz, um Müll zu entsorgen. Ab dem 28. September lebt die Menschheit über ihre Verhältnisse. Kann man da noch guten Gewissens Wachstum wollen?
|
Für Zahrnt ist klar: „Wachstum ist eine Sackgasse.“ Warum das so ist und wo es Auswege gibt, das vermittelte sie knapp 50 Zuhörern in der Alten Mälzerei. Ihr Vortrag ist der erste von vieren in einer Reihe, die zum vierten Mal von S.U.N.e.V., NABU Mosbach, BUND Neckar-Odenwald und der Energie-Agentur zum Klimaschutz veranstaltet wird. Motto: Wir machen blau. SUN-Vorsitzende Christine Denz ergriff daher als erste das Wort: „Mitnichten verstehen wir unter ’blau machen’ aufhören, im Gegenteil: Wir bleiben der Stachel im Fleisch, wollen nachdenken, zweifeln und positiv vorantreiben.“ Auch Landrat Dr. Achim Brötel machte sich seinen Reim auf das Leitmotiv. Für ihn ist Blau machen gleichbedeutend mit: Es muss sich etwas ändern. „Wir Menschen sind es, die sich ändern müssen.“ Der Landrat, der für „launige Worte“ (Denz) bekannt ist, will ein neues Spiel gesellschaftsfähig machen: „Mensch ändere dich!“
|
Den Vergleich aufgreifend wünschte sich Zahrnt „viele Mitspieler“ für das neue Gesellschaftsspiel. Um gleich darauf zu fragen, warum wir – trotz aller Erkenntnisse und geradezu fixiert – am Wachstum als einzig möglichem westlichen Entwicklungsmodell festhalten. „Wirtschaftswachstum hat die ursprünglichen Hoffnungen – Wohlstand, sozialer Ausgleich, Beschäftigung, ausgeglichene Staatshaushalte – nämlich nicht erfüllt. Der Kuchen wurde größer, aber nicht gerechter verteilt.“ Schlimmer noch: Machen wir so weiter, führt das nach Ansicht der Ökonomin in die Katastrophe (nicht nur des Klimas). Da helfe es auch langfristig nichts, „grünes Wachstum“ zu haben.
|
Die zentrale Frage laute, wie eine Wirtschaft, eine Gesellschaft ohne Wachstum auskommen könne. Und weil sich viele Systeme (Alterssicherung, Gesundheitswesen, Bildung, Arbeitsmarkt, Konsum) ändern, nämlich wachstumsunabhängig gestaltet werden müssten, ist das Buch, das sie zusammen mit der Umweltökonomin Dr. Irmi Seidl herausgegeben hat, in entsprechende Kapitel gegliedert, in denen sich wiederum unterschiedliche Experten eines Bereichs annehmen. „Das ist keine leichte Kost“, warnte und warb Zahrnt für die Lektüre, „das Thema ist zu komplex, um es in Schlagworten abzuhandeln.“
|
Dennoch gab Zahrnt zu vielen Themenbereichen Ein- und Überblicke. Im Kapitel über Bildung beispielsweise sieht Autorin Christine Ax darin nicht nur die „Voraussetzung für eine Postwachstumsgesellschaft“, sondern auch „Selbstzweck“. Bildung, zitierte Zahrnt, mache reich jenseits von Ressourcenverschwendung und Statussymbolen. Zudem wollen die beiden Frauen Bildung nicht nur als Wissensanhäufung verstanden wissen, sondern als Können und Lebenskunst.
|
Übernächstes Kapitel „Konsum“: Stetig steigender Konsum als Wachstumsmotor wie sinnstiftende Komponente habe ausgedient, packte Zahrnt ihre Zuhörerinnen und Zuhörer bei einem Lebensbereich, der jeden betrifft. Ihre Idee: Statt zu besitzen schlägt sie bzw. Autorin Inge Røpke das Um- und Längernutzen von Gütern vor. Global gesehen sei Konsum erkauft mit sozialen Ungleichheiten. „Unser Lebensstil muss sich so entwickeln, der er übertragbar ist auf die Welt, denn das Konsumniveau, das wir gewöhnt sind, wird nicht zu halten sein.“ Und ganz pragmatisch: „Wir sollten weniger kaufen, weil wir’s uns leisten können.“ Eine düstere Verzichtsdebatte will Zahrnt jedoch nicht anzetteln, sondern systematisch verschiedene Wege zeigen, die aus dem Dschungel führen. Dass ihrem Buch genau das gelinge, das konnte Christine Denz nach dem Lesen mancher Kapitel bestätigen. „Man kann’s immer wieder zur Hand nehmen und sich anregen lassen“, lautete ihre Empfehlung. Angelika Zahrnts Zuversicht gründet darauf, dass die Menschen längst ein Gefühl dafür entwickelt hätten, dass Wohlergehen und Zufriedenheit keine Folge ewigen Wachstums seien. „Die Bewegung muss von unten kommen, vom Einzelnen - individuell und mit anderen.“
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|